Leseglas mit meinem Vater | Vom Koch-Lernen in den 60ern, Kochen auf der Gorch Fock, Karneval in Brasilien und der Selbstständigkeit als freier Mensch
Gespräch: Annette & Hans Sandner
Fotos: Annette Sandner
Ich spreche oft von meinem Vater, wenn es darum geht, wie ich zu dem gekommen bin, was ich tue. Wie ich zu meinem Sinn für Essen und Trinken kam, vielleicht auch, woher ich einen Teil meiner Weltoffenheit habe. Nur konsequent, jetzt auch einmal ihn erzählen zu lassen. Über seine Kochlehre Anfang der 60er Jahre in einem der renommiertesten Restaurants Münchens, über die Sehnsucht nach der weiten Welt, seine Zeit als Koch auf dem Segelschulschiff Gorch Fock – und darüber, was es für ihn bedeutet hat, ein selbstständiger Gastgeber zu sein.
Außerdem gibt das Gespräch Aufschluss, warum ich eigentlich Steuerberater werden sollte, dass ich als Kind gerne Desserts dekoriert habe und was „Nato Dosenbrot“ ist.
Eine etwas ausführlichere als die verschriftlichte Version gibt es auch im Originalton zum Anhören:
Was hast du auf dem Foto für ein Glas und warum?
Ich hatte einen Linie Aquavit, weil ich den schon seit 50 Jahren kenne und seit 50 Jahren trinke.
Vor 50 Jahren warst du wie alt?
Da war ich 23.
Und wo gab es da Linie Aquavit?
Auf der Gorch Fock. Und in Norddeutschland, wo ich vier Jahre lang war, in Kiel.
Erzähl mal, warum warst du dort und was hast du da gemacht?
Ich war in Kiel, weil ich bei der Marine war und ich bin durch Zufall auf die Gorch Fock gekommen. Und habe bis auf die Lehrgänge drei Jahre praktisch auf der Gorch Fock verbracht und wir sind die halbe Welt abgefahren.
Was heißt, du bist durch Zufall da hingekommen?
Wenn man normal zur Bundeswehr bzw. zur Marine gehen muss, weiß man nicht, welches Kommando man kriegt. Und durch Zufall hat sich ergeben, dass ich auf die Gorch Fock gekommen bin.
Wie bist du überhaupt darauf gekommen, zur Marine zu gehen? Du hast doch Koch gelernt und kommst aus Bayern…
Ich habe Koch gelernt und wollte nach meiner Lehre… das heißt, da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Ich habe also etwas später die Lehre begonnen, weil ich die mittlere Reife und Hotelfachschule gemacht habe mit 14. Als ich 16 war, habe ich angefangen zu lernen. Und das waren drei Jahre. Nach drei Jahren war ich dann ja schon 19 und in der Zwischenzeit erfasst – d.h. damals wurde man erfasst, und wenn man erfasst ist, darf man die Bundesrepublik nicht mehr verlassen. Also man kann dann nicht mehr zur See fahren zum Beispiel.
Und das war eben mein Wunsch nach der Kochlehre, zur See zu fahren. Damals gab es ja auch schon ein paar Luxusliner, wo man als Koch fahren konnte – und die Alternative dazu war dann natürlich, weil ich zur Bundeswehr musste, dass ich zur Marine ging und das eben verbinden konnte mit der Seefahrt. Und deswegen bin ich zur Marine gegangen.
Und warum wolltest du gerne zur See fahren?
Weil das halt einfach die Sehnsucht war, die Welt kennenzulernen.
Und hast du sie dann kennengelernt?
Ja, also vom Nordkap – sogar noch darüber – bis runter nach Brasilien. Europa, Südamerika, Afrika, das habe ich dabei alles kennengelernt.
Und was war so das Ziel oder das Land, das dich damals am meisten beeindruckt hat?
Beeindruckend und am exotischsten war natürlich Brasilien. In der Zeit war auch eine Woche Karneval, da waren wir in Recife – das ist die Hauptstadt von Pernambuco – und das war natürlich für uns in dem Fall sehr imposant, die Karnevalsumzüge usw. Wir wurden in deutsche Clubs eingeladen und haben da ganz was Außergewöhnliches erlebt.
War man damals, wenn man irgendwo hinkam, von der ausländischen Marine, sowas wie ein Star und hatte das besondere Beachtung?
Das lag sicherlich an dem Segelschiff, denn es gab ja nicht sehr viele Segelschiffe. Und wenn wir irgendwo eingelaufen sind, dann war das eine ganz tolle Attraktion. Wir hatten immer sehr viele Besucher in den Häfen, wir wurden oft mit Blaskapelle empfangen und wurden von den Deutschen auch meistens irgendwo eingeladen, die dort gelebt haben. Und so war das in Brasilien, so war das auch in Marokko, in den Nordländern – überall eigentlich. Am extremsten war es in Bordeaux, da sind wir förmlich überrannt worden.
Und habt ihr dann dort auch eingekauft auf den Märkten und das mitgenommen, um damit zu kochen, oder wie sah da so die Küche aus auf dem Schiff?
Also wir durften Fleisch nur in Deutschland kaufen, das wurde für die ganze Reise gebunkert, tiefgefroren, alles schon vorportioniert. Das waren immer so 25 kg für die ganze Mannschaft (250 Leute) – und das wurde dann so gebunkert in dem Tiefkühlraum, der hatte vielleicht 15 qm, dass man immer von vorne das wegnehmen konnte, was gebraucht wurde. Und die Speisepläne wurden eben so geschrieben, wie gebunkert wurde. Die Frischsachen haben wir immer in den Häfen eingekauft. Also das heißt Eier und Gemüse und Obst – was es halt dementsprechend gab.
In Marokko haben wir auch immer eingetauscht gegen unser Nato-Dosenbrot. Das musste man ja auch abnehmen bei der Bundeswehr, diese Dosen mussten ja auch umgewälzt werden und jede Einheit kriegte so und so viel Dosenbrot – und dieses Dosenbrot, das war so ein schwarzer Pumpernickel, den haben wir dann immer in Marokko gegen Orangen getauscht, in Brasilien gegen Ananas. Die waren dankbar, dass sie mal anständiges Brot gekriegt haben. Und wir waren froh, dass wir es los waren.
Nochmal etwas früher zurück.
Du hast gesagt du hast in München Koch gelernt. Warum hast du Koch gelernt?
Ich habe früher bei meiner Mutter immer schon in der Küche mitgeholfen. Ich bin ja mit 14 auf die Hotelfachschule und da wurde eben auch diese Liebe zu diesem Beruf geweckt. Da hat man halt mal reingeschnuppert und hat gesehen, ob einem sowas gefällt oder nicht. Aber meine Mutter hat immer zu mir gesagt, ich wäre eigentlich der geeignetste Koch, weil ich schon als kleiner Bub immer die Schubladen in der Küche aufgeräumt habe und so weiter. Und mein Bruder und mein Vater hatten ja beide technische Berufe, das lag mir einfach nicht. Und da hat man halt den Kochberuf gewählt.
Und wie kamst du dann in das Restaurant, wo du gelernt hast?
In der Hotelfachschule hatten wir ja eine Konditorei, eine Küche und auch sehr viel praktischen Unterricht. Und ich hatte dort einen Lehrer, der hat in München in der Ewigen Lampe – das war damals eines der besten Restaurants von München – einen Freund, der war dort Küchenchef. Er hat mir ein Schreiben mitgegeben, da habe ich mich vorgestellt und da wurde dann auch genommen.
Was war das für eine Welt, in die du da kamst?
Die Welt war erstmal Lehrling. Und da ich schon zwei Jahre älter war als die normalen Lehrlinge, war das auch gar nicht so einfach. Ich war immer der „Gstudierte“ und man hat mich dann am Anfang zumindest ein bisschen getriezt. Wenn ich irgendwas verkehrt gemacht habe, hat man gesagt „naja, der mit seiner Schulbildung“ und so. Und die einfachen Stiften, die waren sowieso doof. Und bei mir hat man halt immer mehr vorausgesetzt als bei den anderen.
Wir haben im August angefangen mit der Lehre, da kamen erstmal die ganzen Spinatkisten, da kann ich mich noch ganz gut erinnern. Das waren riesen Kisten, da mussten wir erstmal alle den Spinat waschen. Das war das einzige Lebensmittel, das bei uns eingefroren wurde. Der wurde gewaschen, blanchiert und in kleine Kugeln geformt und dann eingefroren.
Dann kamen die Gurken, dann kamen die Bohnen und dann kamen die ganzen Lebensmittel, die man das ganze Jahr über verbraucht hat – und die wurden immer von den Lehrlingen geputzt, gewaschen und eingeweckt für das ganze Jahr. Es wurde eigentlich alles eingeweckt außer dem Spinat, wovon man das ganze Jahr hatte.
Und was wurde so gekocht in dem Restaurant – wie muss man sich das vorstellen?
Damals war schon die Klassik, dass man Hummer verarbeitet hat jeden Tag, Austern, Kaviar en masse und viel Wild. Wir hatten einen Patron, der war Jäger. Der hat uns dann immer Rehe und Hasen und Aale gebracht und wir haben im Prinzip alles selbst geschlachtet und zubereitet. Wir hatten auch eine sehr große Fischkiste und haben zweimal in der Woche Fisch gekriegt aus Hamburg. Da waren Seezungen, Heilbutt, Steinbutt – und halt die Edelfische mit dabei. Das haben wir da alles verarbeitet.
Und was waren da so für Gäste?
Ja, da wir gegenüber von der Oper waren, hatten wir sehr viele elitäre Gäste wie den Karajan, dann die ganzen Operngäste – die waren auch damals sehr reich und sind dann meistens nach der Oper so um zehn, halb elf zum Essen gekommen. Wir hatten eine extra Opernkarte, die dann nicht mehr so umfangreich war und hatten jeden Tag bis Mitternacht auf.
Stammgast war immer der Karajan, der Strauß, die Filmschauspieler, auch die Leute, die im Residenztheater gespielt haben… das war halt so das Publikum.
Gibt es etwas, wo du sagen würdest, das hast du in Zeit über das Kochen oder das Arbeiten, oder das Leben gelernt, das dir geblieben ist?
Was einem halt die ganze Geschichte gegeben hat mit 16, wenn man im Prinzip aus einer einfacheren Familie gekommen ist, und dann eben mit solchen Lebensmitteln zu tun hat – ich hab zum Beispiel ja vorher nie Kaviar oder Austern gesehen oder Muscheln.
Aber was mir das fürs Leben gegeben hat, ist ganz klar, dass einen das prägt, dass man sich auch mit Weinen auskennt, mit den ganzen modernen Lebensmitteln. Wir haben damals auch schon Artischocken verbraucht, die kannte damals so gut wie keiner. Und auch Südfrüchte, Mangos und so, das kannte ich dann ja schon, bis wir in Brasilien waren.
Aber das prägt natürlich, dass man sich damit auskennt und auch besser mitreden kann.
Zum Beispiel nach der Grundausbildung bei der Marine, da wurde man vorbereitet für das Leben an Bord, weil an Bord kocht man nun wieder ganz anders als in einer normalen Küche. Da hatten wir auch ¼ Jahr einen Einführungslehrgang. Da waren Kochlehrer und da hatte ich natürlich den Vorteil. Die Lehrer waren zwar auch gelernte Köche, aber die hatten noch nie einen Hummer gesehen, oder eine Seezunge oder sonst irgendwas. Zwei oder drei von uns hatten in guten Häusern gelernt – und immer, wenn der wieder was erzählt hat, haben wir gleich die Hand gehoben und haben das Gegenteil behauptet. Da waren wir nun nicht so sehr beliebt.
Ich habe ja dann nach meiner Bundeswehrzeit nicht mehr gekocht, sondern bin als Geschäftsführerassistent nach Wuppertal gegangen, das waren drei Betriebe, und diese drei Betriebe waren ja auch prägend. Weil man hatte dann auch in das Servicegeschäft Einblick – und nach dieser Zeit bin ich zu Steigenberger. Zuerst war ich in Frankfurt und dann im Duisburger Hof. Kalkulationswesen und alles, und dann sind wir nach München gegangen (inzwischen verheiratet) und dann habe ich vier Semester Betriebswirtschaft studiert.
Danach bin ich ins Holiday Inn als F&B Manager und hatte dann Weinkeller und Küche unter mir, auch das Bankettwesen – und da hat man auch von der Seite Einblick gehabt.
Wie und warum kam der Punkt zu sagen: ich mache mich selbstständig?
Das war immer der Traum, auch wo wir früher beim Skifahren waren im Sporthotel Theresa. Das war damals für uns ein Top-Hotel. Da entstand der Traum, sich mal mit einem kleinen Hotel selbstständig zu machen.
Ich war nach dem Holiday Inn im Kollegium Augustinum sieben Jahre, im Prinzip kaufmännischer Direktor. Aber der Traum hat uns nicht losgelassen und wir haben dann zwei Jahre gesucht, bis wir das geeignete Projekt gefunden hatten, und haben uns dann eben selbstständig gemacht.
Und da standest du dann ja auch wieder jeden Tag in der Küche.
Das war natürlich dann sehr hilfreich, dass man von der Küche auch was verstand. Jeden Tag diese 30 Essen, da hätte sich vielleicht ein Koch nicht gelohnt – und das war natürlich von Vorteil, das selbst machen zu können.
Was hat das für dich und dein Leben bedeutet, Gastgeber zu sein?
Sagen wir mal, es hat halt Spaß gemacht, den Leuten einen schönen Urlaub zu machen und mit den Leuten zu feiern und die Leute zu bewirten, wir haben ja viel gemacht damals. Gartenfeste, Schneeparties im Winter, jede Woche eine Wanderung – das hat halt einfach Spaß gemacht.
Das hat natürlich dann auch die gute Belegung ausgemacht, weil wir halt auch viel für die Gäste getan haben.
Du wolltest immer, dass ich Steuerberater werde. Letztlich bin ich jetzt über 10-15 Jahre Berufsweg doch wieder sehr nah an den Dingen, die ihr gemacht habt. Wie findest du das jetzt?
Ich finde das eine tolle Sache. Wir haben ja auch das gemacht, was uns Spaß gemacht hat – und der Beruf, der sollte einfach auch Spaß machen.
Steuerberater wäre halt eine sichere Sache gewesen, aber hätte dir vielleicht keinen Spaß gemacht. Und wenn dir das Spaß macht, ist das eine tolle Sache. Wollen wir hoffen, dass das weiter so klappt.
Hast du Erinnerungen an mich im Hotel – wie habe ich mich da so in dem Hotelkosmos bewegt?
Du hast immer auch schon als Kleinkind Spaß daran gehabt, zum Beispiel wo du mit Begeisterung mit dem Spritzbeutel die Desserts dekoriert hast (da haben wir ja auch Fotos davon) – und du hast, als du schon etwas älter warst, immer an der Ausgabe geholfen, wenn Not am Mann war.
Also ich denke mal, sonst hättest du diesen Beruf auch nicht ergriffen, wenn dir das keinen Spaß gemacht hätte.
Und was bedeutet gutes Essen und auch Reisen heute für dich?
Gutes Essen bedeutet immer was für mich. Auch mit dem Reisen zusammen. Reisen wird zwar nicht mehr so großgeschrieben, weil wir die Wohnung in Teneriffa haben, aber das Essen in Teneriffa, das macht uns auch sehr viel Spaß. Dort gehen wir 2-3 Mal mindestens pro Woche essen und wir gehen eben auch gerne zu den Spaniern und nicht so in diese Touri-Buden, sondern das ist halt einfach diese ursprüngliche Küche. Ist zwar jetzt nicht sehr hochtrabend, aber es gibt sehr viel Fisch, das macht auch Sinn da drüben – weil der Fisch sehr frisch ist.
Wir haben unsere speziellen Lokale, das eine für die Hendl, das andere für den Fisch, das andere für die Grillspezialitäten – und so sind einfach diese Lebensgewohnheiten, die die Spanier auch haben, das lieben wir auch.
Und würdest du im Nachhinein irgendwas an deinem Lebenslauf ändern wollen, wenn du könntest – oder alles genauso machen?
Ich sage immer, dass ich das, was wir gemacht haben, heute wieder so machen würde.
Vielleicht in einer bisschen anderen Form. Man hätte vielleicht auch ein schönes Stadthotel haben können, wenn mehr Geld vorhanden gewesen wäre. Wir waren damals an einem Stadthotel dran, aber da hätten wir 600.000 Mark gebraucht, und die hatten wir leider nicht. Und die Selbstständigkeit würde ich immer wieder machen, weil man ein freier Mensch ist. Und weil man selbst bestimmen kann – und man hat nur einen Feind, und das ist das Finanzamt.