Leseglas mit Graciela Cucchiara | Von Kulinarik in Kulturen, vom “Spießig-Sein”, bunten Lebenswegen und davon, das Beste aus der Not zu machen.
Gespräch: Graciela Cucchiara & Annette Sandner
Fotos: Annette Sandner
Transkript: Lisa Bierbauer
Graciela ist für mich in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Ein Vorbild für Lebensfreude und Leidenschaft, ein Quell für authentische Rezepte, ein unglaublich pragmatischer, bunter und unkonventioneller Mensch – und eine echte Bereicherung für den, der sich mit ihr befreundet nennen darf. Bei Aperitivo und Innenhof-Flair hat sie mir einige Fragen beantwortet, die ich ihr so bisher noch nicht gestellt hatte. Ihre Herangehensweise an die Zufälle und Wirrungen des Lebens kann man in allen Lebensphasen nur bewundern, und auch jetzt: hat sie kurzer Hand ein Alimentari eröffnet, in dem sie italienische Lebensmittel genauso wie selbst gekochte “Mama-Küche” verkauft: von ihrer Lasagne, den Salaten und Tartes lebe ich nun schon eine ganze Weile regelmäßig. Und noch lieber gehe ich vorbei um einzukaufen, einen Kaffee – oder eben Aperitivo – zu trinken.
Eine etwas ausführlichere Version im Originalton und mit der wunderbaren Sprachmelodie von Graciela gibt es hier zum Anhören:
Erzähl doch erst einmal, was hast du für ein Glas mitgebracht – was ist drin und warum du gerade darauf kamst?
Also zunächst einmal liebe ich Aperols – oder Aperitivi für euch . Ich habe ein Weckglas – ich finde es schön, wenn man einen unkomplizierten Aperol am Nachmittag trinkt. Man könnte auch ein Aperol-Glas nehmen, ein Weckglas finde ich aber noch cooler. Ich habe einen Mondino Amaro, das ist ein regionales Bioprodukt. Hergestellt wird dieser von einem alten Opa. Die Brennerei Schnitzer wollte eigentlich aufhören, aber die Enkel und ein Kumpel der Enkel haben gesagt: „Nein Opa, wir machen da was“. So ist vor zehn Jahren der Mondino entstanden, ein Amaro-Likör, der mit Artischocken, Enzian und mit der Farbe von Hibiskusblüten. Zudem sind in meinem Drink frische Kräuter aus meinem Garten wie zum Beispiel Pfefferminze und Zitronenmelisse. Die roten Blüten sind auch essbar, das sind Johanniskrautblüten.
Und warum passen das Weckglas und dieser Drink besonders gut zu dir?
Zuerst ist das ein sehr schönes Glas, das du in der Hand haben kannst – das sind übrigens die Joghurtgläser von Weck. Zweitens ist es ein Traditionsglas und zum Dritten ist es unkompliziert. Es ist nicht so elegant wie die Gläser, aus denen eigentlich Aperol Spritz getrunken wird, auf der Terrasse vom Bayerischen Hof zum Beispiel. Es ist ja auch ein Spritz im Hof der Kochgarage.
Erzähl mal ein bisschen, wo wir hier gerade sind. Du sagtest „Hof“ und „Garage“ – wenn man dich nun nicht kennt: Warum sitzen wir vor einer Garage?
Gibt es jemand, der mich nicht kennt, arrogant gefragt?! (lacht) Wir finden jetzt im Hof eine alte Käserei, wobei in den 30er-Jahren war alles Löwenbräu. Wahrscheinlich war alles Feld und nichts, nur die Brauerei. Als ich in der Kochgarage meine erste Küche gebaut habe, habe ich immer Holzkohle in einem Kamin gefunden. Deswegen vermute ich, dass die Kochgarage das Kaminlager war. Dann war da ein alter Boiler, ein Teil ist die Bank auf der du heute sitzt. Der Kopf des Boilers ist unser Postkasten. Deswegen vermute ich, dass der Keller von meiner ersten Kochgarage die Heizung von Löwenbräu war. Hindelang aus dem Allgäu kam dann in den 50er, 60er Jahren und hat hier Käse produziert, gelagert und weiterverkauft. Wir befinden uns heute in einem Hof zwischen der Kochgarage 1 und Kochgarage 2. In den letzten 11 Jahren konnte ich zwei Kochschulen eröffnen. Meine Definition der Kochschule: Eigentlich ist es eine Location für Kochevents, wo die Leute sich treffen und von Japan bis Kuba ein Gericht kochen. Sie essen, was sie gekocht haben – sehr positiv auch fürs Teambuilding bei Unternehmen.
Das klingt, als wärst du Köchin.
Neeein. Eigentlich habe ich immer mit Leidenschaft gekocht. Und ich habe elf Jahre immer die gleichen Menschen gesucht. Menschen, die kochen, weil sie Leidenschaft haben – und keine, die eine Waage zum Kochen brauchen – bei uns gibt es keine Waagen. Wir kochen ganz genau wie zu Hause. Aber: Wie zu Hause in Tokio, wie zu Hause in Havanna. Es gibt überall Mamas, die kochen. Meine Aufgabe in der Kochgarage war Reisen, Lernen und Rezepturen, Religionen, Kulturen mitschleppen, um das an mein Team weiterzugeben.
Was würdest du sagen, was macht Kulinarik für eine Kultur aus? Ich sage immer ganz gerne, wenn ich reise, lerne ich gerne die kulinarische Kultur kennen, weil mir das viel über die restliche Kultur sagt. Wie siehst du das so als Baustein in der Gesamtkultur?
Vielleicht würde ich das umdrehen. Weil eigentlich macht die Küche die Kultur. Kochen am großen Feuerkreis war in der prähistorischen Zeit etwa, wo die Menschen sich getroffen haben. Und Ernährung ist schon wieder eine wichtige Sache für die Entwicklung eines Menschen. Wir kochen mit Händen und wir kochen traditionell. Für mich ist es immer wichtig, wenn ich reise – und wenn du verreist warst, glaube ich das Gleiche –, dass ich zu Hause bei den Menschen esse. Weil das Essen in einem Restaurant ist schön, aber für mich nicht das Allererste und Wichtigste zum Kennenlernen. Man sagt jedes Land hat eine Sitte und ich finde, jedes Land ist auch ein Kochgericht. Weil die Japaner etwa essen überhaupt nicht wie Kubaner, wobei ein Hähnchen in Kuba und Tokio das Gleiche ist. Aber die Traditionen, der Glaube, die Religionen sind anders, das spielt eine große Rolle. In asiatischen Ländern ist Essen oft mit Opfergaben für die Götter verbunden, das Gleiche ist bei den Macumbas in Brasilien. Es gibt immer Ernährung, es gibt immer Essen.
Und wie kommt es, dass du dich mit so vielen Länderküchen so gut auskennst?
Weil ich Reisen liebe. Ich sage dir ein nettes Beispiel: Mein zweiter Exmann war nicht Millionär, aber er hatte gute Geschäftseinnahmen. Einmal lud er mich nach Phuket an ins Amanpuri, das kennst du, oder? Da lief klares Wasser über schwarzen Marmor und ich habe gedacht, mein Gott, so ein Luxus. Aber ehrlich gesagt wurde mir dieser Luxus nach drei Tagen langweilig. Dann ging ich in die Küche und habe den Chefkoch gefragt: „Was kann ich lernen?“. Und er hatte mir Carving Fruit beigebracht – du weißt schon, wenn man Formen ins Obst macht, typisch für diese Region. Dann war ich schon fast Meisterin im Carving Fruit und mir war wieder langweilig. Daraufhin hat er mir beigebracht, wie man Kanom Krok. Das sind kleine Pfannkuchen – mini-klein, wie eine Doppelmünze – mit Reismehl, Kokosmehl, Kokosmilch und, was speziell ist, ist diese Pfanne. Die Holländer haben auch so etwas Ähnliches…
…Poffertjes.
Genau. Die Zeremonie ist, was mich interessiert hat, weil das war wirklich eine Tea Time. Dann musste ich meinen reichen Exmann bedienen, das werde ich nie vergessen. Er meinte „du bist so gut, jetzt übernimmst du selber an der Seite von diesem schwarzen Granit-Pool da machst du die Tea Time-Station – und ich musste meinen Exmann bedienen. Obwohl er viel Geld für den Urlaub bezahlt hat, war ich einer von den Aman-Mitarbeitern (lacht). So ist es in Brasilien, in Bahia, gewesen. Das ist auch eine sehr religiöse Küche, weil du kannst nicht kochen, solange du nicht die Macumba verstehst. Also, du nicht verstehst, warum sie Dendê-Öl nehmen und warum Dendê aus der afrikanischen Küche kommt. Ich glaube nicht alle Köche dieser Welt wollen zuerst die Religion verstehen – und dann kochen. Aber für mich ist es sehr wichtig. Weil Kochen ist etwas Soziales und ich kann nicht jemandem erzählen, warum Dendê für Mocequa di Pesce zum Beispiel, das ist ein Kokosnusseintopf mit Fisch, so wichtig ist. Dafür muss ich von der Sklavenzeit der Afrikaner in Südamerika wissen, dann kann ich das verstehen. Und mehr schmecken. Warum, das weiß ich nicht, aber so ist meiner Art zu kochen.
Und warum denkst du, ist das so? Hast du das in die Wiege gelegt bekommen?
Naja, als ich sieben Jahre alt war, hat mein Vater mir zwei wichtige Sachen für eine Hausfrau als Geschenk zum Geburtstag gemacht. Ein Mini-Bügeleisen – ich hasse bügeln, ich bügle immer noch nicht –, und das zweite war ein Mini-Topf- und Pfannen-Set. Meine Oma kam aus Recanati und ich habe gedacht, okay, ich lerne bei Oma. Und ich habe immer das, was Oma gekocht hat, in Mini-Portion selber gekocht und gegessen. Und dann kamen die Events. Ich organisiere gerne Dinge für Leute und bringe sie irgendwo hin. Zunächst habe ich begonnen, nur für meine Familie, also ich, meine Schwester, Papa und Mama und die Großeltern Events zu veranstalten. Einmal habe ich mit m Exfreund einen griechischen Abend organisiert, da haben wir in Buenos Aires gelebt. Damals war ich ungefähr 17 oder 18 Jahre alt und wusste gar nichts über Griechenland. Dann ging ich zum Konsulat, weil es keine Kochbücher gab (lacht), kein Google, gar nichts. Warum es Griechenland sein sollte, weiß ich nicht. Dann ging‘s jedenfalls zur Botschaft und ich habe nach Kleidung der Leute und Küche gefragt — überleg mal, was wohl die Angestellten dort gedacht haben. Ich habe dann die Kleidung von meinem Exfreund und mit genäht, die uralte griechische Kleidung. Dann habe ich gekocht und meine Familie eingeladen. Und so gingen eigentlich diese Events los. Dann habe ich viele Weihnachtsfeiern für die Familie organisiert und so geübt und geübt.
Mit 26 habe ich für meine erste Hochzeit das Land verlassen, er war Argentinier – aber mit italienischen Wurzeln. Wir sind dann von Buenos Aires in einen kleinen Ort geflogen, Ponte Lambro in der Lombardei, zwischen Como und Mailand. Auch wenn Ponte Lambro Europa war, war mir das zu klein, ich kam ja aus dieser Metropole Buenos Aires. Naja, neun Monate nach der Hochzeit verließ ich zum meinen ersten Mann, aber ich war schon großzügig. Ich habe einen Fiat Seicendo vor der Tür organisiert, die Wohnung eingerichtet und ihm meinen ersten Job in einer Agentur in Mailand gegeben, denn er war auch Grafiker. Dann habe ich von vorne begonnen. Von vorne mit Reis und Linsen, ich konnte keine Heizung zahlen, musste immer arbeiten und mir von vorne eine Zukunft aufbauen. Und das habe ich geschafft. Auf meinem Rücken habe ich einmal den Phönix-Vogel tätowieren lassen – weil, auch wenn ich am Boden bin, beginne ich schon wieder.
Auch jetzt mit Corona, wie viele Leute sagen mir: „Ich bewundere dich, dass du schon wieder etwas Neues machst“. Was sollen machen, die Apokalypse beobachten? Nein! Wir sollen das Beste aus dieser Not machen. Und das war immer meine Politik.
Ich glaube, ich komme ein bisschen von meiner Oma vom Charakter. Sie war die erste Frau in Argentinien, die mit einem kleinen Flugzeug geflogen ist. Mein Opa war ein Erfinder. Also ich bin eine Mischung aus kreativem Erfinder und Shabby Chic – alles da, nichts ist perfekt. So bin ich geboren und so mache ich weiter. Irgendwann, denke ich, kann ich mich zurücksetzen und in Ruhe leben, aber ich werde trotzdem immer etwas Neues machen.
Man muss ja sagen, in einem klassischen deutschen Modell würdest du dich bald zur Ruhe setzen. Und das kann man sich bei dir sehr schlecht vorstellen.
Ich bedanke mich 1000 Mal, dass ich immer machen konnte, was ich mir gewünscht habe. Ich weiß nicht, ob das an meinem Charakter liegt, ich suche immer, was mir Spaß macht. Ich suche immer, der Erflog und möchte das schaffen, was ich mir gewünscht habe.
Denkst du, das ist ein Schlüssel zum Erfolg, gerade in einer Selbstständigkeit? Dass man Dinge macht, für die man auch brennt und an denen man Freude hat?
Ich glaube, das kommt darauf an, an welchem Punkt du dich in deinem Leben befindest. So wie ich bin, passt gut in Deutschland, in einem Münchener Viertel. Weil ich glaube, die Deutschen bewundern mich, dass ich schon wieder mit etwas Neuem komme. Dass ich dem, was ich kann, treu bin. Ich würde nie sagen, dass ich etwas kann, wenn ich es eigentlich nicht kann. Ich kann nur anbieten, was ich kann. Aber in anderen Ländern, wo ich gewohnt habe, – zum Beispiel in Italien–, würde das vielleicht auch nicht funktionieren, weil die Werte andere sind. Nehmen wir mal Kampanien, also das Grundstück, das ich jetzt in Apulien gekauft habe, alle waren skeptisch, als ich gesagt habe, dass wir ein kleines Farmhaus bauen – so wie im 18. Jahrhundert. „Wieso?“, haben alle gesagt. Ich glaube aber, die Gesellschaft wird das brauchen, irgendwann in drei oder vier Jahren. Das war vor drei Jahren. Ich sagte damals, dass sich die Welt falsch dreht. Dass es nicht sein kann, dass das Tomatenmark, das ihr unten in Italien verkauft, aus China kommt. Und deswegen passiert irgendwann etwas. Ich wusste nicht, dass Corona kommen könnte, aber ich wusste schon, dass etwas passieren würde, damit die Welt überlegt, was sie macht. Erinnerst du dich an die Zeit, in der man für die Tomaten nach Teneriffa geflogen ist?
Ja, weiß ich. Meine Eltern fahren ja immer nach Teneriffa, und mein Vater ist der weltgrößte Tomatenfan – er isst jeden Morgen Tomaten. Und er hat immer schon von kanarischen Tomaten geschwärmt.
Deinen Vater muss ich kennenlernen… Wir haben nur leider alle kaputt gemacht. Es gibt keine kanarischen Tomaten mehr. Ich wollte in meiner Kampagne diese Welt wieder anbieten, dass die Leute in den eigenen Garten gucken. Dann sehen sie, dass Erbsen in zwei Tagen reif sind und planen eine Frittata. Dass sie wieder mehr von der Natur leben, weißt du. Ich finde, dass man mit allem übertrieben hat. Es ist machbar, alles ist schön und schnell – aber es kann nicht alles schön und schnell sein. Und ich glaube, jetzt haben wir verstanden, dass man mit viel weniger leben kann. Also die Werte haben sich geändert, hoffe ich zumindest. Und dass die Welt nicht vergisst, was die Prioritäten sind. Wo waren wir, was war deine Frage? Ich bin jetzt schon so weit abgeschweift (lacht).
Was für einen Stellenwert haben für dich Gastronomie, Essen und Gesellschaftlichkeit in der Gesellschaft?
Naja, ich würde keine Kollegen beleidigen, aber allgemein die Gastronomie leidet. Sie hat an Authentizität verloren. In einer Stadt wie München verstehe ich schon, dass die Mieten sehr hoch sind, die Pächter sehr hart sind. Aber ich glaube, es gibt immer ein Publikum, das du überzeugen kannst, dass auch eine Salzkartoffel – so banal das auch klingt – gut ist. Ich glaube nicht, dass die Leute so perfekte Küche und Nouvelle Cuisine brauchen. Ich brauche es zumindest nicht. Und ich glaube, es gibt schon eine große Menge Menschen, die wollen die Mama-Küche wiederhaben.
Ich glaube halt, wir haben zu viel, was dazwischen liegt. Also, ich glaube, wir haben zu wenig authentische Dinge. Ich sehe die Wertigkeit von gehobener Küche total, wenn sie gekonnt ist. Ich glaube, der Mittelbau von „ich tue so, als koche ich was Tolles, koche aber eigentlich mit minderwertigen Produkten“ ist zu groß. Und wir haben zu wenige, die mit richtig guten Produkten einfache Dinge machen.
Ja. Aber da ist auch das Publikum ein bisschen schuld. Jetzt mit diesem großen Fleischskandal, der Gott sei Dank kam, muss man endlich verstehen, dass ein Stück Fleisch nicht 3.50 Euro kosten kann. Kann es nicht, das ist respektlos – dem Tier gegenüber und den ganzen Menschen, die im Hintergrund arbeiten. Aber ich sage, da ist der Konsument schuldig. Es kann nicht eine Wasserflasche mehr kosten als das Essen. Oder der Wein mehr Kosten als das Essen. In Italien oder in den Ländern, in denen ich gelebt habe, ist es umgekehrt. Die Handarbeit des Koches ist teurer als der Wein. Dasselbe ist der Preis einer Flasche Wein verglichen mit der ganzen Arbeit, die der Winzer hat. Man gibt mehr Geld für Autos als für die Gastronomie- und die ganze Lebensmittel- und Wein-Branche aus.
Denkst du, das ist ein deutsches Problem?
Ich würde nicht sagen, es ist ein deutsches Problem. Es ist auch in anderen Ländern ein Problem. Nur, wenn wir Deutschland mit Italien oder Frankreich vergleichen, dann ist es selbstverständlich, dass dort das Essen wichtig ist. Ein Neapolitaner steht auf, macht Frühstück und spricht schon über das Mittagessen. Und die Franzosen genießen es, mit einem Baguette durch Paris zu gehen – das ist eine wahnsinnig andere Kultur. Aber ich glaube, jedes Land hat eben andere Prioritäten. Hier sind die Prioritäten andere. Aber mein größter Wunsch wäre, dass ein Münchner mit einer Semmel in der Hand auch so glücklich herumläuft. Ich weiß ja nicht, ob ich das noch sehen werde, aber das wäre mein Wunsch. Ich glaube, jede Kultur hat andere Werte-Prioritäten als andere Länder.
Warum kamst du nach Deutschland und bist so lange hier geblieben?
Weil ich ein Spießer bin (lacht). Guck mal, geboren in Buenos Aires, wo es nicht geklappt hat, gelebt in Italien, wo es ein bisschen besser, aber auch nicht wirklich geklappt hat. Warum Deutschland? Zuerst aus einem familiären Grund, meine Schwester war hier und meine Neffen auch. Und zweitens, weil ich die Zuverlässigkeit gerne mag. Die Zuverlässigkeit und der Respekt sind nicht mehr das Gleiche wie vor 20 Jahren, sagen alle, aber immerhin kannst du demokratisch und frei leben und deine Zeit gut managen. Ich habe es immer gehasst, dass die Beamten oder Behörden entschieden haben, was ich mit meiner Freizeit gemacht habe. Entweder, weil ich den Strom zahlen musste und dann war da eine lange Schlange in Argentinien, oder weil ich wie in Italien darum kämpfen musste, bezahlt zu werden. Hier kommt keiner auf die Idee, dir einen Auftrag zu geben, und sich dabei schon überlegt, wie er dich nicht bezahlen kann. Mit allem Guten, was die Italiener und die Südamerikaner haben, aber ich würde dennoch nicht zurückkehren, um für immer in Italien oder in Südamerika zu wohnen. Ich fühle mich wohl hier und ich kann sein, wie ich möchte. Ich habe mir diesen Planteten gebaut, wo du Leute wissen, ah das ist die Graciela – und das ist für mich so ein großer Wert, sein zu können, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen. Natürlich muss man die Menschen immer mit Respekt behandeln, aber sie wissen schon, dass ich manchmal anders bin. Und so wie ich meinen Planeten habe, kann ich teilen.
Gibt es irgendein Land, in dem du rückblickend, wenn du die Zeit nochmals um 30 Jahre zurückdrehen könntest, auch gerne mal gelebt hättest?
Im Norden von Europa, eigentlich das Gegenteil von Süditalien. Aber immer noch cool und immer noch auf eine andere Art sentimental. Ich bin einmal im Noma gelandet, ohne dass der Typ berühmt war. Ich bin hingegangen, weil mir die Einrichtung gut gefallen hat, die Holzstühle, das Feld. Als ich gegessen habe, fand ich es Avantgarde und sehr professionell. Die Natur in Island zum Beispiel und diese Gorsch – weißt du, was Gorsch ist? Das sind diese gelben Blüten, die ich per Zufall auf den Falklandinseln kennengelernt habe, weil dort daraus Whisky gemacht wird. Der duftet in einer Zeit des Jahres so süß und so schön. Die Landschaft dort ist schön, minimalistisch. Heute habe ich mit Elisa vom Weingut in Trentino über die Weincharaktere geredet. Und sie hat sehr gut definiert: In Trentino gibt es immer ein bisschen eine Brise und Wind, und so frisch sind die Weine. Wenn du einen Rotwein aus der Toskana nimmst, ist das anders, da gibt es eine Hitze. Ich finde, dass die Landschaft so viel mit der Kultur und den Produkten der Gegend zu tun hat. In Nordeuropa könnte ich mir schon vorstellen – ich weiß nicht, ob für immer – zu leben. Ich finde, es wäre eine Herausforderung, in einer Holzhütte zu leben und draußen sind drei Meter Schnee. Aber unbedingt mit Kamin!
Graciela, würdest du sagen, so ganz persönlich bist du anders als das Bild, das man von dir sonst in der Kochgarage hat – immer bunt und unterhaltsam?
Naja, ich bin so. Ich kann mir nicht vorstellen, zu sagen, was ich nicht bin. Das schaffe ich nicht. Ich war einmal im Fernsehen und habe einmal ein Kochbuch rausgebracht, das reicht mir. Irgendwann habe ich jetzt Bäume gepflanzt, Kinder hat meine Schwester bekommen. Eigentlich ist alles, was ich sage, so wie ich bin. Ich verstelle mich nie vor der Kamera oder in einem Interview. Denn es lohnt sich nicht. Das Showbusiness ist für mich so streng und so stressig. Schau mal, wie viele Reden ich in 11 Jahren gehalten habe. Aber sie waren immer etwas anders, entweder, weil ich jemanden aus dem Publikum genommen habe, oder eine Geschichte erzählt habe oder etwas aus der Realität. Ich hatte immer etwas zu sagen, aber immer so, wie ich denke und so, wie ich bin. Deswegen glaube ich, dass ich am richtigen Platz bin.
Die Deutschen zum Beispiel sind für meine Kochevents das ideale Publikum. Sie sind neugierig, flexibel, in dem Sinne, dass sie heute Sushi oder allgemein Japanisch essen können und morgen ein Bolo Cubano. Die sind neugierig auf alles. Einen Italiener hätte ich nicht haben wollen als Kunde, das tut mir leid, wenn meine Italiener nach diesem Gespräch beleidigt sind. Aber Italiener sind arrogant, sie glauben, sie haben das beste Essen. Sie haben gutes Essen, aber es ist nicht das beste Essen der Welt. Wenn ich ein Essen wählen müsste und es immer wieder essen müsste, bin ich sterbe, würde ich sicher die italienische oder mediterrane Küche wählen. Aber ich bin dennoch anderen Sachen gegenüber wie einem Tom Kha Gai oder z.B. Gerichten aus Vietnam respektvoll. Weil ich schon erkenne, das sind Kulturen und dieses Essen ist in diesen Ländern viel wert. Ich glaube die Italiener sind schon mit dem Sonnenschein geboren, mit Pavarotti im Radio und mit Pasta und Sugo jeden Sonntag. Deswegen, kann der Italiener nicht bewundern, was der Deutsche wertschätzt, weil es für sie banal oder logisch ist. So wie ich bin, habe ich mehr in so einer Gesellschaft Erfolg. Ich bringe Sugo, Pavarotti, die Mama-Küche und den Sonnenschein, weil es hier nicht selbstverständlich ist, dass du es hast.
Alimentari da Graciela
Graciela Cucchiara
Dienstag bis Samstag 11-19 Uhr
Nymphenburger Straße 25 im Hinterhof
80335 München