Ich war beim cookTank 13 der Sternefresser in Kulmbach, zu Gast bei der Genussakademie Bayern. Wie sollte es hier anders sein war das Thema dieses cookTanks vom Freistaat inspiriert und auch die anwesenden Chefs reisten (bis auf Heiko Antoniewicz) aus Bayerischen Gefilden an. “Wildes Bayern” sollte auf die Teller finden, und was bei allererster Betrachtung logisch klingt, wird bei genauerem Nachdenken nicht nur komplex sondern auch schwer zu fassen. Ein Thema, das sehr breite Interpretationsmöglichkeiten bietet, durchaus für Diversität gesorgt und auch zur Diskussion angeregt hat.
der cookTank als Format
Der cookTank der Sternefresser ist nun schon seit 2011 ein Format, das zum Austausch und zum Fachsimpeln gleichsam anregt wie ein Forum zum Philosophieren über kulinarische Themen und Trends bietet. Im ausgewählten Kreis sind in Kulmbach jetzt schon zum 13ten Mal Spitzenköche, Fachmedien, Wissenschaftler und Produzenten hochwertiger Lebensmittel zusammen gekommen. Ein echtes “Ergebnis” oder feststehende Thesen gibt es am Ende eines cookTanks nicht, das Ziel ist der Diskurs, das angeregte Gespräch und der Austausch an sich. Jeder der 10 Köche in Kulmbach hatte seine Interpretation vom “Wilden Bayern” zur Verkostung im Gepäck.
Was ich für mich an Stimmungen und Diskussionsthemen, Thesen und Tendenzen heraushören und schmecken konnte, habe ich hier lose in fünf Punkten zusammen gefasst.
Weiter unten finden sich die Gerichte und alle Bilder.
Gedanken zum cookTank 13 “Wildes Bayern”
Stimmungen und Diskussionsthemen, Thesen und Tendenzen
1. Region als Dreh- und Angelpunkt
Fast schon zu viel bemüht wirkt das Schlagwort “Region” auf manch einen – wird es doch auch zuweilen mehr als Marketinginstrument benutzt, als aus Überzeugung gelebt. Dennoch und gerade hier, wo es um Bayern als Themengeber (und als Standort) geht bleibt er nicht aus der regionale Bezug – sei es in den Lebensmitteln selbst oder in der Art, sie zuzubereiten.
2. Könnte das ganze nicht auch Wildes Hessen oder Baden-Württemberg heißen?
In vielen Punkten: durchaus. Regionale Bezüge, Urgetreide, alte Sorten, ursprüngliche Rezepturen – all das trifft auf viele Regionen zu. Dennoch: wir in Bayern sind eben speziell, und das auch gerne, insofern passt das schon. Insbesondere mit dem ebenfalls bayerischen Schwerpunkt mit Chefs aus Bayern hat der Bezug hier selbstverständlich Sinn gemacht. Kein Grund, nicht auch über ein ähnliches Format in anderen Regionen nachzudenken? Die Unterschiede (oder Gemeinsamkeiten?) wären womöglich eben doch größer, als gedacht.
3. Flexibilität vs. genormte Lebensmittel
Wer konsequent oder mindestens konsequenter von regionalen Lebensmitteln sprechen und noch konkreter damit kochen möchte muss flexibel sein. Form, Farben und Geschmack variieren beim Bezug regionaler, oftmals kleiner Händler und sind weniger planbar – hier muss auch in der Umsetzung dann gelten: Form follows function – oder die Form folgt dem Geschmack, nicht andersrum. Die Küchen und Köche sind in dem Punkt bereits flexibler geworden, so die These – und wer flexibel ist braucht keine genormten Lebensmittel.
4. Vorhandenes vs. Ideal
Wer regional kochen will, muss umdenken, so der Tenor – und das Feld ein Stück weit von hinten aufrollen. Nicht die Frage, wo und wie das perfekte ganz bestimmte Lebensmittel in der Region zu bekommen ist sollte im Zentrum stehen, sondern welche guten Lebensmittel die Region zur Verfügung hat. Umdenken und sich nach Vorhandenem ausrichten, diese Produkte gut einsetzen und auch dem Gast ein Stück weit (wieder) schmackhaft machen. Stichwort in dem Zusammenhang auch: “nose to tail” vs. Edelprodukt.
5. Genuss vs. Intellekt oder: was möchte ich meinem Gast damit sagen?
Die Spanne der Interpretationen an diesem Tag ist breit, in vielerlei Hinsicht. Von “einfach richtig gut” ohne etwas beweisen zu müssen bis zu genuss-intellektuell anspruchsvollen Geschmackserlebnissen – und all das hat eine ganz eigene Berechtigung.
Eine interessante Diskussion, die hier anzuschließen wäre ist die darüber, was eigentlich das (Kommunikations)-Ziel des Essens an sich ist: Was ist die sich aus dem Komplexitätsgrad und dem Genussanspruch ergebende Anforderung an den Gast und: möchte ich meinen Gast eigentlich intellektuell involvieren oder ihm einen genussvollen Abend bereiten? Über einen Teller nachdenken können aber nicht müssen kann gleichermaßen das Ziel sein wie “zum Nachdenken anregen”. Wohlkonsistenz und Wohlgeschmack erzeugen genauso wie geschmackliche Gegensätze schaffen und Akzente setzen.
Wildes Bayern heißt auch…
- für viele automatisch Fisch & Fleisch (und Bayerische Garnelen, Biber, Dachs und Co., vor allem aber kein vegetarischer Gang)
- natürlich auch Wild (Wildschwein, Sülze, Reh, Elch & Co.)
- Urgetreide und alte Sorten, Rekultivierung, die enge Zusammenarbeit von Gärtnern, Köchen und Biologen
- Experimentieren (Longhorn & Nougat, Zwetschgenholzeis, Brotsuppe oder gereifter Karpfen)
Köche & Gerichte
Tohru Nakamura & (Werneckhof by Geisel**, München)
Ramen mit Emmer und Waldstaude, Kräuter aus dem Garten, Schwefelporling in der Brühe
Tobias Bätz (Restaurant Alexander Herrmann*, Wirsberg)
Geschmortes Longhorn-Rind, Haselnuss- Nougat, Gewürzbutter und frisches Blaukraut
Alexander Huber (Huberwirt*, Pleiskirchen)
Oberbayerischer Zander, Sauerei und Blaukraut
Michel Simon Reis (Johanns*, Waldkirchen)
Bayerwald-DNA – Brotsuppe mit Zwiebelgewächsen, Donauwaller und Heidelbeeressig
Anton Schmaus (Storstard*, Regensburg)
Sauerbraten vom Elch, Böhmische Knödel und Moltebeeren
Felix Schneider (Sosein*, Heroldsberg)
Gereifter Ikejime-Karpfen (Bauch und Rücken) mit Rettich
Gereifte Reh- und Wildschweinkeule auf Miso serviert, außerdem Quittenfond mit Saft und Wasserkeffirkultur, 18 Monate in der Flasche vergoren
Heiko Antoniewicz
Alles Zwetschge: Zwetschgenbammes (Schinken) und Zwetschgenholzeis
Wildcard: Ulrich Kohler (Kohlers Kulinarik, Marktredwitz)
Lauwarme Wildschweinkopfsülze, gebratene Wildschweinleber, eingelegte Quitte, Umeboshi-Salz-Zwetschge, Steckrübe, Schweinskopfvinaigrette mit PX-Essig und Röstzwiebeln
Ludwig Maurer, Rattenberg
Gegen den Strom – eine Seafood- Interpretation der bayrischen Brotzeit
Wildcard: René Stein (Schwarzen Adler, Nürnberg)
In Honig gerösteter Ansbacher Saibling mit Waldpilzen, Kartoffel und geräucherter Crème Fraîche