Ein Besuch im Gaggan Anand G’s Spot Chefs Table Restaurant
Den Besuch im Gaggan Anand G’s Spot, seinem neuem Chefs Table Restaurant einzuordnen ist schwer, auch wenn es nicht an Worten und Eindrücken fehlt. Auf den Punkt gebracht: ein perfekt choreographierter Abend mit vielen Aspekten, die man so nicht von einem klassischen Dinner erwartet. Unterhaltsam, herzlich, zuvorkommend – durchzogen von einem 25-gängigen Menü, das Gerichte auffährt, die geschmacklich mehr als nachhaltig beeindrucken, komplex, schlau und fein abgestimmt sind. Subtile Spielerein, unglaublich viel Mühe und Fine Tuning sind hier in die Konzeption geflossen.
Die Musik passt auch bei Gang 22 zu den fein in Herzform ausgestochenen Gemüsen im Reisgericht, das Licht geht immer zum richtigen Zeitpunkt an und aus, die Erklärungen sitzen – Story Telling at it’s best. Das Konzept hier bricht radikal mit vielen klassischen Ansätzen, und sicher wohl bewusst. Dabei ist das Essen aber durchaus so überzeugend, dass es mithält – die Show muss hier nichts kaschieren, was kulinarisch nicht mithielte.
Drei Minuten vor sieben, mein Taxi hängt noch im Stau fest, da ist der Anruf schon da: ob ich den Weg finde? Ja danke – ich bin in der Einflugschneise. Bei einem Dinner wie diesem – eine Choreographie für 14 Gäste, alles vorab bezahlt, Musik aus den „Bewerbungsfragen“ der Anwesenden gepickt, ein straffes Programm mit 25 Gängen und 9 Weinen auf der Agenda – sind Verzögerungen wenig wünschenswert. Ein Drink an der Außenbar im Garten des neuen Gaggan Anand Restaurant in Dschungel-Atmosphäre entschädigt für den Anreise-Stress und die paar Minuten, die die anderen Gäste dann doch noch länger brauchen.
Der Blick ins Erdgeschoss gibt auch schon die Bühne frei: ein zweikantinger tiefer Tresen um die Küche herum, rund 5 Köche, 1 Sommelier und 3 Service-Kräfte werden sich ca. 4 Stunden lang um die handverlesene Gesellschaft kümmern. Der Chef Gaggan Anand selbst ist an diesem Abend nicht im Restaurant, sondern bei einem Pop-Up in Japan – macht aber nichts: sein Team ist hochprofessoniell, locker und zuvorkommend – und auch nach dem Essen noch für Fragen und Drinks zu haben.
Wer einmal in Gaggans vorherigem Restaurant war, wird kulinarisch am neuen Standort und hier im G’s Spot einiges wiedererkennen. Referenzen zum Indischen Streetfood, seinen Wurzeln, Gerichte die Geschichten erzählen und manchmal auch provozieren wollen, bunt sind, überraschend und auf Grundprodukte erster Qualität zurückgreifen. Bis zu Gang 14 gibt es kein Besteck, vieles ist Fingerfood, mehr als fancy arrangiert – das tut dem Geschmack und dem Feinsinn der einzelnen Happen aber keinen Abbruch. Angenehm steigert sich das Menü in seinen Highlights nicht von 1-25, sondern hat immer wieder warme und kältere, klare und vielschichtige Kreationen zu bieten und verläuft damit in angenehmen Wellen.
Die Weine sind allesamt naturbezogen ausgebaut, von kleinen Betrieben mit Charakter, dabei viel Europäisches. Leer werden die Gläser mit den insgesamt 9 begleitenden Weinen nicht, das steuern die Gäste – mehr oder weniger souverän – selbst.
Ob alle Gäste nach so viel Wein und Sensorik, mit lauter Musik und Club-Atmosphäre im Gaggan Anand G’s Spot das ganze Dinner lang der Komplexität folgen können? Das steht sicher auf einem anderen Blatt, müssen sie vielleicht auch nicht – denn einen einzigartigen Abend erlebt hier jeder auf seine Weise. Die Intention ist, jedem Gast ein Erlebnis zu bereiten. Und die gastrosophische Frage, ob denn gutes Essen allein nicht mehr genug ist für ein High Class Restaurant, lässt sich freilich nach diesen Besuch stellen.
Fakt ist so oder so: jeder Gast war glücklich. Und auch die Gäste, die das Gesamt-Erlebnis anders bemessen, als das Essen selbst, sind hier gern gesehen. Ebenso wie die, die jede Komponente schmecken und danach jeden Teller besprechen möchten. Das ist eine gleichsam angenehme wie wahrscheinlich auch wirtschaftlich sinnvolle Koexistenz, die sich eher befruchtet als torpediert. Denn einig waren sich zum Schluss alle: das war ein sensationeller Abend.
Das Menü
Der Prolog ist ein Puzzle. Es ist das Menü, 25 Teile mit Emoticons – sie werden uns begleiten und nach und nach zusammen wachsen, immer die wichtigste Komponenten oder die Idee der einzelnen Gänge betonen. Es bleibt auf dem Tisch.
1) And it Explodes
Das Menü startet mit einer “Explosion” – einer klassischen Sphäre, auf einem Blatt in der Hand serviert und naturgemäß auf einmal gegessen wird. Alge, etwas Schärfe, viel Frische, der Crunch des Blattes und ein bisschen Beta Zeta für noch mehr Zirkus im Mund. Ein anregender Auftakt.
2) Colors of Joy
Man stelle sich 14 Menschen um einen Tresen vor, die ihren Kopf über den Teller beugen und einen Streifen bunt bestäubtes Püree ablecken. Die Haare nach hinten gehalten, den Teller nicht in die Höhe gehoben, sonst staubt es nämlich auf die Kleidung. Diese Referenz zum Holi Festival of Colors ist ein provokanter Start. Aber die Hemmungen sind abgelegt, der Champagner wird ein bisschen schneller getrunken und die Aufmerksamkeit ist der Küche sicher. Mission accomplished.
3) Autumn Foie Gras
Optisch schon zum Anfang eines der Highlights. Ein dreischichtiges Blätterwerk aus Foie Gras, Buchweizen und Frucht, kühl und texturell perfekt aufeinander abgestimmt, zergeht auf der Zunge und verschmilzt zu einem wirklich hervorragenden Foie Gang.
4) Shrimps Salted Egg
Hätte ich etwas nachbestellen können, wäre es dieser Haps gewesen. „Dancing Shrimps“, so faszinierend konserviert, dass sie aussehen wie lebend, nur schöner, glänzender, mit einer hauchdünnen Schicht Zucker überzogen. Auf einem Marshmallow aus Eigelb und Curryblättern, auf einem Blatt „essbaren Glas“. Süß und scharf, knusprig und frisch, mit dem Anklang von den in Thailand so essentiell verwendeten Dried Shrimps.
5) Bonito Celeriac Tart
Inspiriert von der engen Zusammenarbeit mit einer Katsuobushi Manufaktur (die in der Japanischen Küche viel verwendeten Bonitoflocken) entstand dieses Gericht mit 13 Tage bei 1 Grad trocken gereiftem Hamachi. Serviert mit Nori Paste und einem Tartelette mit dreierlei Sellerie ist das ein spannendes Beispiel, wie vielfältig nach einer Schlachtung nach Ike-Jime-Technik gearbeitet werden kann.
6) Bamboo Cooked Like Artichoke
Wussten Sie, dass die Artischocken von Portugal nach Goa kamen – oder so? Serviert war ein Stück Bambus (eingelegt, glasiert und gegrillt) hier jedenfalls street food gerecht an einem Bambus-Steckerl, sauer-scharf Vindaloo gewürzt. Im Bambus-Strauch.
7) Tomato Sandwich
Ein weiteres meiner Highlights. Gefrorener Bloody Marry Schaum, Tomate und Rote Beete, schwarzes Salz, das der grünen Frische und erdigen Süße einen Hauch Rauch mitgibt. Richtig gut!
Annonciert ist übrigens zunächst einmal „Frozen Blood Foam“, und ja: einige Gäste haben gezögert.
Die Moral: „Taste with your pallet, not your brain“.
Dazu auch erwähnenswert, kommt der „Rainbow Juice“ ins Glas. Australischer Rosé aus 23 Sorten gepflanzt und verarbeitet wie ein gemischter Satz.
8) Truffle Fried Milk
Offenbar gibt es in Indien ein sehr traditionsreiches, crackerartiges Brot, das mit Guarkern Mehl gebacken wird – und sehr viel Zeit und Akribie in der Zubereitung benötigt, wenn man es so perfekt haben will, wie hier. Das ist – auch ohne Vergleich – bestens gelungen und kombiniert sich mit der absoluten Faszination dieses Gerichts mit sehr viel Uni (diese Seeigel wurden übrigens lediglich mit Kombu Algen gefüttert), dazu Kartoffelbutter und Wasabi. Fein, komplex, umamireich, strukturell perfekt.
9) Grey Asteroid
Der graue, schillernde Asteroid kommt zu lauter Musik auf den Tisch. Wer (wie ich) „I don’t wanna miss a thing“ von Aerosmith liebt und oft genug im Soundtrack-Zusammenhang gehört hat, der hat Gänsehaut und die Brücke zum Weltall natürlich sofort. Das klingt cheesy, ist es auch.
Aber die Gesamt-Atmosphäre schafft genau das: Emotion, Musik, Essen – all das verbindet sich so wie vorgesehen, und das ist toll, faszinierend – und man kann sich dem auch nicht entziehen, wenn man für dieses Trio etwas übrig hat.
Sachlich betrachtet ist der Asteroid eine Weiterentwicklung des bekannten Kohle Gangs aus dem „alten“ Gaggan. Hier mit thailändischem Seebarsch und hausgebeiztem Lachskaviar gefüllt, außen mit Kohle Pulver aus verbrannten Gemüseabschnitten umhüllt. Heiß, würzig, balanciert, knusprig, weich.
10) Deep Purple
Mehr Musik-Referenzen in Gang 10. In meinen Notizen steht wörtlich „Purple Rain zum Lila Herz und es touched einen schon“. Geschmacklich nicht einer der herausstechenden Gänge – das ist sicher aber auch nicht die Intention des crispen Teig-Herzes aus fünf verschiedenen violetten Zutaten, u.a. violette Kartoffel und Oxalis.
11) Aloo Dum
Aloo Dum – ein klassisches indisches Street Food auf Kartoffel-Basis. In einer Schale aus Kohl und gleichsam mehlig wie wachsigen Kartoffeln, verschieden gefüllt. Und ich weiß nicht warum, hiervon habe ich offenbar kein Foto.
12) Lord of the Rings
Der Lord or the Rings spielt “Killing in the Name of” von Rage Against the Machine über die High End Anlage, laut. Dazu der ziemlich gute, filigrane Donut mit einer Hülle aus weißer Schokolade, mit einer flüssigen Pani Puri Füllung mit Koriander, Schärfe und Frische – geplatet auf dem Mittelfinger jedes Gastes. Eine Referenz an den Übergang von Gaggans altem zum neuen Restaurant, bei dem wie man liest, nicht alles rund lief, mit den vorherigen Partnern. Und dass Gaggan sein neues Restaurant in zwei Monaten „aus dem Boden stampft“, hat ihm tatsächlich niemand geglaubt. Hier ist es also und lässt jeden Abend laut auch das Outro von „Killing in the Name of“ hören: „Fuck you, I won’t do what you tell me!“ Da braucht es quasi den „mouth cleaner“, dessen Rolle der Donut in der Mitte des Menus fabelhaft übernimmt.
13) Dosa Taco
Wahrscheinlich das feinste Dosa (aus Reismehl), das ich je probieren werde, in Taco Form, mit Kochbanane und Kürbis Mousse, Chili Pulver. Gaggans „celebration of rice“ ist ein irrsinnig filigranes Konstrukt, knusprig im Mund und trotzdem sofort vergangen.
14) Baigan ka Bharta Uni Royal
Gang 14 und es gibt Besteck. Und zwar für einen perfekt gegarten Carabinero, mit einer Bisque aus den Köpfen vom selbigen, gegrillt über japanischem Binchotan. Dazu eine dickere Sauce aus Aubergine, nachts im Feuer verbrannt. Der Gang ist insgesamt sehr rauchig, intensiv salzig mit einer leichten Schärfe – lässt aber den Carabinero trotzdem Star auf dem Teller bleiben.
15) Kachori Indian Doughnut
Noch ein weiteres indisches Brot, gefüllt mit fein-süßlichem Mousse von der grünen Erbse und getrocknetem Fenchel.
16) Patrani Pimentos
Die Pimentos kommen wieder mit mehr Effekt in Form eines kleinen Tischgrills daher. Die Pimentos im Namen sind eine Referenz an die Portugisische Herkunft des Chefs, der die Idee zu diesem Gericht entwickelt hat. Wiee wir erfahren, bereitet jeder der Köche, der längerfristig in Gaggans Küche arbeiten will, fünf Probegerichte aus eigenen Ideen zu. Dieses hier hat den Test bereits im Alleingang bestanden. Die Banana Chili Peppers sind gefüllt mit einer Portugiesischen Terrine, die Blätter dienen nur dem Schutz beim Grillen.
17) Summer Vegetables Winter Nuts Soup
Eine weitere Erfrischung in Form einer kalten Suppe aus grünem Apfel, Sellerie und Gurke – darin kleine Tupfen Mousse aus Nussmilch von Winternüssen. Sommer und Winter also.
18) Fish Toast
Dieses kleine Kunstwerk “Fish Toast” zu nennen, ist ohne Bild dazu eigentlich vermessen. Die luftig-crispe Hülle kommt gefüllt mit einer Masse aus Fisch Fond, Tobiko und Kokosnuss.
19) Bird Cooked in a Composite
Vielleicht der “indischste” Gang des Menüs: Ein gut ausbalanciertes Korma, mit Baby Huhn, Okra, Lotus, Mais und Safran. Damit auch das einzige „Curry“.
20) Abalone Pepper Garlic
Tatsächlich meine erste Abalone. Sie wurde sous vide gegart und wird hier anders als klassisch mit Leber mit einer Sauce aus verschiedenen Pfefferschoten serviert. Dazu Kokosnuss, Algen und Curry Blätter.
21) Laal Mass = Red Meat
Ein qualitativ extraordinär gutes Stück Lamm aus Neuseeland mit viel intermuskulärem Fett. Eine Paprika-Sauce und gerösteter Reis, mehr braucht es auch nicht.
Dazu gab es im Glas Suertes Del Marques El Esquilon aus Teneriffa.
22) Rice not Japanese but Indian
Der letzte Gang vor den Desserts ist nach der Dosa nochmal eine Liebeserklärung an den Reis als Grundlage für die asiatische Küchen in Thailand, Indien und Japan. Led Zeppelin gibt dazu „A Whole Lotta Love“, die findet sich für die immer noch Aufmerksamen Gäste auch im in Herzchenform tournierten Gemüse auf dem Reis wieder. Außerdem Krebsfleisch, Eigelb, saure Pflaume – alles gedacht zu vermischen, ein bisschen wie beim koreanischen Bibimbap.
23) Tropical Mist Pond
Weiter geht es mit einer schön anzusehender Inszenierung von Licht und Trockeneis, Duft (Kaffir-Limetten-Nebel!) und Musik. Dieser kleine „Pool“ enthält neben einem tropisch-kalten Süppchen auch Jasmin Tea Perlen und hervorragenden Tofu – außerdem keinen zusätzlichen Zucker, wie alle Desserts.
24) Mushroom Whisky
Mein Dessert-Highlight: Steinpilz-Karamell, weiße Schokoladen-Ganache, Yuzu, Orange und Steinpilzpulver, serviert direkt auf der Hand.
25) Silver & Gold Cookie
Der letzte Gang ist einem Cookie nachempfunden und durch die verschiedenen getrockneten Früchte und Nüsse nochmal recht schwer und sättigend. Ich hätte stattdessen auch ein zweites Mal Nummer 24 genommen.
Der Epilog ist das fertige Puzzle. Richtig zusammengesetzt (teilweise mit Service-Hilfe) wird es zum Schluss umgedreht, im Ganzen – und offenbart einen stilisierten Plan des “G’s Spot”. Küche, Tresen, alles da. So fügt sich also alles zum von Anfang bis zum Ende durchdachten Gesamt-Konzept.
Gaggan Anand Restaurant
68 Sukhumvit 31, Sukhumvit Rd, Klongton-Neu, Wattana, Bangkok 10110
Phone: +66 98 883 1022
Email: reservations@gaggananand.com
Disclaimer: Selbst reserviert, selbst bezahlt – keine Presseeinladung.