Mit geschlossenen Augen klingt das Klackern der Venusmuscheln beim Waschen in der Metallschüssel wie kleine Murmeln, die aneinander schlagen. Die großen Scheren der glänzend-frischen Königskrabben krachen und knacken beherzt und ein Stück Fleisch brutzelt leise aber bestimmt – nur ganz kurz – auf dem Grill. Parallel die konzentrierte Stille beim Mittagsservice in der Küche von Tohru Nakamura und seinem Team in Geisels Werneckhof. Zwischendurch ruhige Abstimmung zwischen Küche und Service; die Klingel, die den Auftritt der fast zum Schicken bereiten Teller ankündigt; das drängelnde Piepsen des Ofens im hinteren Teil der Küche.
Beim Anrichten der ersten Vorspeisen offenbart die kühlende Theke unter der metallenen Arbeitsplatte eine Schatzkammer an Blüten, Kräutern und Kressen. So sehr sie zwar optisch eine gute Figur machen, sie werden nicht als Schnick-Schnack für’s Auge so akribisch auf den Tellern arrangiert. Jedes Kraut hat seine Rolle als Baustein in den komplexen und ausgetüftelten Gerichten auf der Karte. Die schmückt sich mit drei verschiedenen Menüs: Soli, Gaudi und Omni.
Wo sich Soli auf wenige Hauptdarsteller auf dem Teller konzentriert lässt Gaudi Raum für Verspieltheit und Überraschung auf dem Teller. Omni vereint die großen Charaktere von Soli mit der aufgeweckten Handlung von Gaudi und spiegelt mit diesem perfekt gelungenen Spagat auch das, was den Werneckhof ausmacht.
Der Werneckhof in der Werneckstrasse 11 in Alt-Schwabing ist, was die Räumlichkeiten betrifft, eine Tradition für sich. Auf den ersten Blick vielleicht eine Herausforderung, der modern-kreativen Küche hier den richtigen Rahmen und auch den angemessenen Raum zu verleihen. Auf den zweiten Blick (und auch alle weiteren) gelingt das fabelhaft und steht sich nicht entgegen – im Gegenteil. Gegensätze treffen sich hier im lockeren Gleichklang – das gilt ebenso für die zwischen Tradition und Moderne wie die zwischen den verschiedenen kulinarischen Einflüssen auf Tohrus Tellern.
Ein bisschen verwundert sei er manchmal schon, erzählt der Küchenchef, dass die Gäste im Werneckhof übermäßig stark oder gar rein japanisch geprägte Küche erwarten. Natürlich spielten japanische Zutaten, Zubereitungsweisen und Einflüsse eine große Rolle, genauso wichtig und präsent sind aber Regionalität und lokale Produzenten. Er führt mich in den sonnigen Schwabinger Innenhof hinter der Küche – ein kleiner Garten, in dem die jede Woche aus der Region angelieferten Kräuter und Kressen im Schatten gehegt werden, bis sie vorm Gast ihren Auftritt haben. Auch ein paar original japanische Kräuter bewohnen die grüne Hof-Oase, importiert von Tohrus Vater.
Die ersten Gäste sind beim Zwischengang, der Lachs ist schon auf dem Sprung aus der Pfanne. Gerade rechtzeitig kommt der Gemüselieferant vorbei und bringt frische Gurkenblüten. Just in time um mit einem Tupfen Limonen-Gel versehen noch Platz zu finden neben knusprigem Bauch, Tatar, Wacholdergurken, wilder Erdnuss und Bergamott-Verveine-Vinaigrette.
Während die einen den aktuellen Gästen den Mittag so köstlich wie möglich gestalten, arbeiten die anderen daran, auf für die nächsten Tage und Abende gut vorbereitet zu sein. Keine Frage, dass (weiter)verarbeitet wird, was immer möglich ist. Auf dem Herd köcheln Krustentier-Karkassen, im Green Egg räuchern Aal-Gräten gerade so lange, bis sie bereit sind in einem großen Topf Dashi-Sud zu baden. Es entstehen die verschiedenen Komponenten für einen der Teller aus dem Soli-Menü: Flussaal japanisch glasiert, Waldstaudenkorn, kleine Pfifferlinge.
Auf einem handgeschriebenen Zettel neben dem Küchenfenster stehen ein paar schon im Rohzustand ziemlich köstlich zu lesende Stichpunkte. Das Menü im Werneckhof ändert sich etwa alle 6-8 Wochen, je nach Saison. Ideen, Zutaten und Kombinationen werden gesammelt und notiert, jeder im Team ist dabei gefragt. Entwickelt werden die Gänge vor allem im Kopf und auf dem Papier erklärt Tohru – verfeinert und finalisiert dann natürlich auf dem Teller. Wenn nicht gerade Sommerpause ist, passiert das parallel zum normalen Betrieb mit der aktuellen Karte.
Der betörende, süße Duft von frisch gebackenem Mille feuille wabert aus dem hinteren Teil der Küche – dem Reich von Patissière Annegret Henninger – nach vorne. Eine kleine Torte bekommt ihren süßen Mantel aufgespachelt und ein paar frische Beeren liegen schon bereit um später die Dessert-Kreationen perfekt in Szene zu setzen.
Es brutzelt, die Wärmelampen sind an, die letzten Gäste bekommen von Sous Chef Manuel Hagel ihren Hauptgang: Ibérico (Pluma vom Holzkohlegrill, confierter Bauch, junger Lauch und Süßkartoffel) – es zergeht auf der Zunge und harmoniert sicher perfekt mit einem der von Restaurantleiter und Sommelier Ireneo Tucci mit Herz und Akribie ausgewählten Schätze auf der Weinkarte. Sie hält nicht nur für jedes Gericht, sondern auch für jeden Gast ein perfect match parat – von klassische Größen bis zu erfreulich vielen kleinen Entdeckungen auch aus deutschen und österreichischen Regionen.
Zum Schluss drückt mir Annegret eine eisgekühlte Silberschale in die Hand. Mit diesem Stück Tradition aus dem Königshof der Familie Geisel ist ein weiteres Puzzleteil in die Werneckstrasse gezogen, das sich offenbar hervorragend mit den modernen Porzellan- und Steingut-Tellern im Schrank versteht. Kein Wunder also, dass das sagenhaft erfrischende Sorbet aus japanischer Shiso gefühlt wahrscheinlich kein besseres Gefäß hätte finden können.
Schon nach seiner ersten Saison mit Eröffnung Anfang 2013 darf sich das Team vom Werneckhof jetzt mit einem Stern schmücken. Auf dem Küchenfenster klebt der runde, rote Aufkleber des Guide Michelin, blickt beobachtend auf das Geschehen – und denkt sicher jeden Tag, wenn das Licht in der Küche morgens an und nach vielen arbeitsamen Stunden wieder aus geht: „alles richtig gemacht“.
Geisels Werneckhof
Werneckstraße 11
80802 München
+49 (0)89 388 795 68
Alle Bilder aus dem Werneckhof:
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Wow, was für schöne Fotos und Du schreibst so detailliert, da glaubt man direkt man war dabei. Das macht viel Freude – weiter so! :)