Zu Gast bei Sascha Kemmerer in der neuen Kilian Stuba
Wer alleine Essen geht, der hat viel Zeit, seinen eigenen Gedanken zuzuhören. Viel Zeit zu genießen, zu analysieren, die Stimmung und die Umgebung auf sich wirken zu lassen – nicht nur das Essen selbst. Ich liebe das, wenn auch das nicht bedeutet, dass ich gute Gesellschaft und Gespräche am Tisch nicht zu schätzen wüsste. Mein Abend in der neuen Kilian Stuba im Ifen Hotel im Kleinwalsertal war so eine Möglichkeit, die rundum gelungene Verwandlung wahrzunehmen. Hier wurde nicht „renoviert“, sondern ein ganz neues Restaurant konzipiert und eingerichtet, die der Küche von Sascha Kemmerer nun eine Bühne bietet, die ihr nicht nur gerecht wird, sondern sie angemessen und stilvoll unterstreicht.
Was macht eigentlich einen perfekten Abend aus, was erwartet der Gast im Restaurant – und was erwartet ihn dort? Um was geht es eigentlich in der Essenz, an so einem Abend im „Gourmet Restaurant“? Das rein geschmackliche Erlebnis ist das eine, und ja: all diejenigen die oft und gerne Essen gehen, die bringen eine gewisse investigative Neugier mit an den Tisch. Innovation und technische Finesse, fein abgestimmte Komponenten, beste Grundprodukte, augenschmeichelndes Plating: all das wirkt und freut und beeindruckt. Aber was bleibt von so einem Abend eigentlich, welches Gefühl trägt man als Gast hinaus und spielen da nicht noch ganz viele andere Aspekte mit?
Die neuen Räume der Kilian Stuba betritt man durch ein schön geschaffenes Entrée, das schon von außen die Vorahnung beflügelt, hier in eine Welt außerhalb – oder innerhalb – wie man es sieht, des Hotel-Universums abzutauchen. Dass hier sehr viel Stil bei Konzeption und Einrichtung im Spiel war, fällt gleich auf – die Detailverliebtheit und hochwertigen Materialien und Oberflächen spätestens, wenn man seinen Platz eingenommen hat.
Der letzte Schluck Champagner vom Apero hebt den Geschmack der Ente im frischen Salat-Blatt als Amuse und geht mit seinen Hefenoten herrlich in der Erdnuss und der gepoppten Schweineschwarte auf. Das Brot-Setup spiegelt den ersten Eindruck von Raum und Idee: Schlicht und trotzdem anders, mit Idee und Bezug zur Region – reduziert, verständlich und besonders. Und schon hier fällt die schöne Symbiose zwischen Filigranität und Bodenständigkeit auf, die sich durch den Abend, das Menü und die Räumlichkeiten zieht. Das französische, matte Porzellan fügt sich mit Selbstverständlichkeit der Tischoberfläche aus rustikalem Holz und wirkt zugleich sehr edel wie authentisch.
Winterrettich, mit Kreuzkümmel und Sesamöl geschmort
Ländle Joghurt | Wurzelspinat | geräucherte Blutorangenvinaigrette
Der erste Gang reizt den Gaumen mit echter Säure und merklichen Bitterstoffen von Orange und Räuchernoten, macht den Mund wässrig und überrascht. Auch das Zusammenspiel mit dem schmeichelnden Spinatpüree, dem Hauch Nussigkeit vom Sesam und der laktischen Note des Joghurts zeigt wie komplex und durchdacht diese Küche ist, ohne dass sie nötig hat, damit zu prahlen.
So bleibt einem die Wahl, sehr vielschichtig wahrzunehmen was man hier vor sich hat – oder sich gleichwertig einfach nur freuen, wie gut es schmeckt. Der Traminer vom Weingut Loimer kommt dazu im Übrigen als augenöffnende, bereichernde Kombination daher und ist eine ebenso gute Wahl, wie die anderen Weine in der Weinbegleitung von Roland Gunst.
Bretonische Seezunge vom kleinen Boot „sanft gegart“
Imperial Kaviar | Maracuja-Hollandaise | Rote Rübe | Marcona Mandel
Die Seezunge ist nicht nur „sanft“, sondern auch perfekt gegart, hat noch Biss und scheint zu einer meiner liebsten Früchte – der Passionsfrucht – eine mehr als leidenschaftliche Verbindung zu pflegen, das vereint sich auf der Zunge nämlich herrlich. Durchdacht und mit Bedacht eingesetzt auch hier mit der Roten Rübe, die das Gericht im besten Wortsinn „erdet“.
Atlantik Riesencrevette vom Planchagrill
Junger Kohlrabi | Périgord Trüffel | Ravioli vom Ländle Rahm | Eigelbcrème
Mit diesem eingeschobenen, kleinen Gang kommen für mich die ersten frischen Erbsen des Jahres – und vielleicht der letzte Trüffel für die Saison – auf den Tisch, und sie könnten sich geschmackvoller nicht die Hand reichen.
Zurück zum Gefühl. Die Haptik der hochwertigen Materialien von Tischen bis zu ausgesuchtem Porzellan, das sich schlicht in weiß durch das Menü zieht. Hier brillieren die Gerichte und haben mit den Tellern zwar die größtmöglich wertschätzende Bühne – sind aber klar die Hauptakteure, und brauchen kein spektakuläres Bühnenbild.
Kein Teller, Messer oder Löffel ist überdimensioniert oder zu viel, klein genug um sich noch bewegen zu können am Tisch, die Hände aufzulegen, zu gestikulieren und mich in gegebenem Fall einer Begleitung zuzuwenden. Es ist erlaubt und gewünscht, sich wohlzufühlen – und das zeigt wie sehr auch ein gehobener Rahmen intim sein kann, wenn man als Gast der ist, um den es eigentlich geht.
Ein Gesamt-Konzept, dass mit wahnsinnig viel Stil und Understatement in einem natürlichen Spagat zusammen bringt, was so gut den Stil der Küche spiegelt: Feinsinn und Filigranität, höchster Anspruch und Bodenhaftung. Wie die Küche, die sich über die letzten Jahren mit Zielgenauigkeit, Idee und dem richtigen Maß an Verspieltheit entwickelt hat und ganz genau weiß, wer sie ist und was sie sagen – wie sie schmecken will.
Wälder Hennele „Sous vide gegartes Suprême mit Tandoori Masala“
Gegrillter Kaisergranat | grünes Tomatenrelish | Riebelmais-Krapferl | Limonenblatt-Korianderglace
Der Hauptgang ist ein echter Höhepunkt. Mit anregendem Spannungsverhältnis zwischen Säure und Schärfe, dabei nicht glattgebügelt überbalanciert und einem fantastischen separaten Kaisergranat, der dem Gericht Raffinesse und eine gewisse wohlschmeckende Süße anheimstellt.
Frühlingserwachen
Valrhona Opalys | Weizengras | Orangenöl | Finger Limes | Veilchen
Das köstliche wie raffinierte Dessert benennt, was sich durch das Menü schon zog: der Übergang von den Wintermonaten mit ihren erdigen Komponenten zu Geschmack, Farben und Zutaten des Frühlings. Wie die ersten Veilchen und Grashalme, die jetzt aus der letzten, sonnenbeschienenen Schneedecke lugen.
Das wahre Selbstverständnis im Zusammenhang der gehobenen Gastronomie ist – und das mag meine bescheidene Meinung sein – als Gastgeber nicht sein Ego, sondern mit erster Priorität Genuss auf den Teller zu bringen. Ohne den Gast zu zwingen, bei jedem Bissen zu erschmecken, wie viel die Küche vermeintlich „kann“ – ob das an der Stelle sinn- und geschmackvoll ist oder nicht. Und das ist deswegen so schlau, weil es intellektuell ist, ohne den Gast zu zwingen, sich intellektuell damit auseinanderzusetzen. Hochdurchdacht aber nicht überkonzipiert bleibt die Kilian Stuba mit Küche, Konzept und Seele auf dem Boden.
Hier drückt sich das für mich so aus: Leichtigkeit, exotische Referenzen und Komplexität ohne damit hausieren zu gehen, eingebunden in eine klassische Küche, die sich ihre besten Seiten von süffigen Saucen bis perfekten Garpunkten bewahrt hat und in dieser Kombination einfach nur perfekt daher kommt. Sie schafft, auch und gerade im alpenländischen Umfeld, eingebettet in diesen Wohlfühlraum von Restaurant so natürlich zu wirken, als gehöre sie hier und nirgends anders hin.
Über die Philosophie von Essen, „Essen gehen“ und „Gast sein“ lässt sich viel und lange sprechen, diskutieren. Hier kann man das, muss es aber nicht. Man darf auch einen rundum perfekten Abend verleben, die Meta-Ebene zu Hause lassen und sich einfach nur am Genuss erfreuen.
Kilian Stuba im Travel Charme Ifen Hotel
Oberseitestraße 6 – 6992 Hirschegg
Telefon: +43 5517 / 608 540
Disclaimer: Zu meinem Besuch in der Kilian Stuba war ich vom Travel Charme Ifen Hotel eingeladen – herzlichen Dank dafür. Meine Meinung, Geschmack und Berichterstattung blieben davon unbeeinflusst.